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Widerspruch

zu Prälat Dr. Peter Klasvogts Kolumne „Auge um Auge?“ in den Ruhrnachrichten (19.8.2024)

Der Vorstand und die Geschäftsführung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V. sind schockiert über antijüdische und nicht dem Stand der christlichen Theologie entsprechende Äußerungen von Prälat Dr. Peter Klasvogt in seiner Kolumne „Auge um Auge?“ in den Ruhrnachrichten vom 19. August 2024. Das Bibelzitat (siehe Shemot / Exodus 21,23-25) wird hierin als „Devise“ unbestimmter „Massen“ und „Potentaten“ bezeichnet, um damit eine „Spirale der Gewalt“ zu beschreiben. Diese „Devise“ habe zudem das Potenzial „ganze Völker mit in den Abgrund zu reißen“. Dieses Verständnis des genannten Zitats entspricht weder der rabbinischen Lesart, noch der aktuellen christlichen Exegese und hat eine lange antijüdische Tradition. In dieser antijüdischen Tradition wird unter anderem aus dem genannten Zitat ein vermeintlicher Rachegott der Hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments abgeleitet. Diesem wird in einem zweiten Schritt ein guter und liebender Gott Jesu aus dem Neuen Testament entgegengestellt. Klasvogt bedient diese fälschliche Gegenüberstellung in seiner Kolumne erneut, indem er der Nächstenliebe des Judentums die diese vermeintlich übersteigende Feindesliebe des Christentums gegenüberstellt. Auch diese Auffassung entspricht weder der rabbinischen Tradition, noch der Theologie und hat ebenfalls eine antijüdische Rezeptionsgeschichte.

Wie sieht eine aktuelle christliche Einordnung dieser beiden Motive stattdessen aus? Im Kontext der biblischen Zeitgeschichte geht es bei dem erwähnten Zitat „Auge um Auge“ gerade nicht um den Beginn einer Spirale der Gewalt, sondern im Gegenteil um deren Durchbrechung. Der Grundsatz „Auge um Auge“ verankerte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und des finanziellen Schadensersatzes in einer von endloser Blutrache geprägten Welt – das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit geht damit auf die Hebräische Bibel zurück. Dieses Verständnis im Sinne einer Kompensation ist spätestens seit Hans Küng theologischer Standard und findet sich von jüdischer Seite auch im „Das Neue Testament jüdisch erklärt“ (Englische Ausgabe herausgegeben von Amy-Jill Levine und Marc Zvi Brettler, deutsche Fassung 2021) in Bezug auf Mt 5,38.

Und in Hinblick auf die Nächstenliebe: Die Behauptung in Mt 5,43, das Judentum lehre nicht nur die Nächstenliebe, sondern auch den Hass auf Feinde, ist schlicht eine Lüge, da es dafür keinen einzigen Beleg gibt (siehe ebenfalls den entsprechenden Kommentar in „Das Neue Testament jüdisch erklärt“). Stattdessen schließt die konsequente Nächstenliebe die Feindesliebe immer schon mit ein. Jesus akzentuiert die Lehre der Tora an einigen Punkten, bewegt sich als Jude in seiner Deutung jedoch immer innerhalb des damaligen jüdischen Diskurses. Der Jude Jesus, durch den Christinnen und Christen hoffen, in eine Beziehung mit dem Gott Israels eingeladen zu sein, ist immer nur der Eine. Ein Gott, der komplexer ist, als viele das aushalten, aber nie antijüdisch.

Die nachösterliche christliche Tradition war es, die über zwei Jahrtausende zutiefst antijüdisch war und die Grundlagen für den modernen Rassenantisemitismus legte. Wie tief diese Denktraditionen bis heute verankert sind, zeigt Klasvogts Kolumne allzu deutlich. Dass ein promovierter Geistlicher sich so selbstverständlich antijüdischer Rhetorik bedient und dass auch der Redaktion der Ruhrnachrichten diese offenbar nicht aufgefallen ist, ist eine massive Problemanzeige. Einerseits hat sich die Lehre insbesondere der römisch-katholischen und der evangelischen Kirchen in der zweiten Hälft des 20. Jahrhunderts fundamental verändert. So werden heute die jüdische Identität Jesu und der Apostel und der ungebrochene Bund Gottes mit dem Volk Israel anerkannt und Jüdinnen und Juden als ältere Geschwister im Glauben wertgeschätzt. Anderseits ist es nicht gelungen, diese Veränderungen ausreichend in der Ausbildung zu verankern und damit langfristig in die Breite der Gemeinden zu tragen. Auch wurden bis heute kaum Konsequenzen aus diesen neuen judentumssensiblen Vorzeichen der christlichen Theologie gezogen – Martin Buber zu lesen ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, aber reicht bei Weitem nicht aus. Wie Christian Rutishauser et al. im aktuellen Handbuch „Jüdisch-christlicher Dialog. Ein Studienhandbuch für Lehre und Praxis“ (Paderborn [u.a.] 2024, S. 1) betonen:

„Das Gespräch zwischen Christentum und Judentum begreifen wir als eine Haltung, aus der heraus Theologie betrieben wird, die nicht mehr anders kann, als sich in den disziplinären Positionen von Judentum und jüdischem Denken herausfordern, rückfragen und anfragen zu lassen. […] Nicht zuletzt geht es um die ständig zu bearbeitende Frage und Herausforderung, wie christliche Identität, Theologie und Praxis beschrieben und entfaltet werden können, ohne das Judentum herabzusetzen und das Christentum vor der Negativfolie des Judentums zu profilieren. Christliche Theologie im Angesicht des Judentums zu betreiben, stellt eine nicht verhandelbare hermeneutische Grundoption dar, die alle Bereiche der Theologie tangiert und verändert.“

Es bräuchte daher vielmehr eine Kolumne, in der christliche antijüdische Denktraditionen aufgezeigt und aktuelle, dem christlich-jüdischen Gespräch Rechnung tragende Perspektiven eröffnet werden. Dass antijüdische Motive ausgerechnet in einer Kolumne über die Situation „im Nahen Osten“ Anwendung finden, ist zusätzlich erschreckend, zumal in dem Text keine Unterscheidung zwischen der Selbstverteidigung eines demokratischen Staates und den Gewalttaten einer Terrororganisation gemacht wird. Wer nach dem „Beginn einer neuen Hoffnungsdynamik“ sucht, sollte sich beispielsweise besser mit der israelischen, interreligiösen Friedensbewegung „Standing together“ beschäftigen, von der viel zu lernen wäre – statt antijüdische und antiisraelische Vorurteile zu schüren.

Vorstand und Geschäftsführung
der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V.

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